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Zum Festival

Foto: Schloss vor Husum

Im Norden Deutschlands, nahe der dänischen Grenze in der nordfriesischen Kreisstadt Husum, findet seit dem Jahr 1987 ein Klavierfestival statt, das sich ausschließlich selten gespielter Klavierliteratur widmet. Die „Raritäten der Klaviermusik“ haben sich schnell von einem Geheimtipp zu einem renommierten Festival entwickelt und entfalten eine fast magische Anziehungskraft auf ihre Besucher.

Bei dem Begriff „Raritäten“ handelt es sich in diesem Fall nicht um Werte, die umso höher ausfallen, je weniger von dem jeweiligen Produkt auf dem Markt verfügbar ist wie bei Weinen, Briefmarken etc., sondern um den aus einem gewissen Gerechtigkeitsempfinden heraus entstandenen Impetus, Werke eines riesigen Repertoires, welche aus den verschiedensten Gründen im Musikleben zu kurz kommen, „live“ ans Licht zu holen, d.h. in Konzerten zu Leben zu erwecken. „Raritäten“ entstehen ja nicht als solche – es ist vielmehr ihr augenblicklicher Status. Dieser kann sich in den Zeitläuften ändern und aus ihm hinausführen, was in vielen Fällen nur wünschenswert wäre. Freilich gibt es unter den selten gespielten Kompositionen etliche, die den Keim, zu einer „Rarität“ zu werden, in sich tragen – sei es, dass sie schwer zugänglich sind, oder sei es, dass sie allerhöchste technische Ansprüche an die Ausführenden stellen.

Bei diesem Festival kommen eher die Zwischenphasen der Musikgeschichte, in die hinein geleuchtet wird, zum Vorschein, Werke der „aus der Zeit Gefallenen“ unter den Komponisten, auch
Frühwerke von Komponisten, deren Profil sich später anders herausbildete, werden mit unverstelltem Blick ernst genommen, und selbst Klavierwerke „nur“ mit dem „gewissen Etwas“ werden dem Publikum zum unverhohlenen Hörgenuss dargeboten.

Als Höhepunkte in der „Historie“ dieses Festivals müssen erwähnt werden: die Aufführungen von Alkans „Symphonie“ und „Concerto“ für Klavier solo durch jeweils Ronald Smith und Marc-André
Hamelin schon im Jahre 1989, ferner die von Julius Reubkes Sonate b-Moll durch Hamish Milne im selben Jahr. 1990 spielte Hamelin bereits eines der herausragenden Variationenwerke des 20.Jhdts., Frederic Rzewskis „The People United Will Never be Defeated“, und 1992 wurde die Aufführung einer Zusammenstellung von 23 Klavierstücken Alexander Skrjabins unter dem Titel „Goldregen“ durch Igor Shukow als „Sternstunde“ wahrgenommen.

Aufschlussreiche (Neu-)Einschätzungen boten die Aufführungen folgender bemerkenswerter Sonaten des Repertoires: der Sonate b-Moll von Balakirew, der Sonate f-Moll, Op.27 von Ljapounow, der 1. Sonate Op.6 von Mjaskowsky, der Sonate F-Dur, Op.12 von Sibelius, der Sonate e-Moll, Op.63 von d’Indy, der Sonate es-Moll von Dukas, der Sonate d-Moll von Benjamin Dale, der Sonate (1923) von Pierre de Bréville, der drei Sonaten von Szymanowski, der 4. Sonate (1924) von Leo Ornstein, der Sonate (1948) von Dutilleux und nicht zuletzt den beiden Sonaten Op.7 und Op.57 von Carl Czerny.

Natürlich durften bei einem Festival wie diesem die drei „Symphonischen Metamorphosen über Joh.Strauß ‚sche Themen“ ( Künstlerleben: Fledermaus; Wein, Weib und Gesang ) von Leopold
Godowsky ebenso wenig fehlen wie Liszts „Réminiscences de Norma“, die „Réminiscences de ‚La Juive‘ “ und die „Tannhäuser-Ouvertüre“. Als weitere „Highlights“ dürften genannt werden: Poulencs „Aubade“ in der Solo-Version und seine „Soirées de Nazelles“, Piernès „Trios pièces formant Suite de concert“ Op.40, Ignaz Friedmans „Studien über ein Thema von Paganini“ Op.47b und seine „Passacaglia“, Chevillards Transkription von Chabriers „Espana“, Michel Dalbertos Solo-Version der „ Vier letzten Lieder“ von R. Strauss, die „Rosenkavalier-Suite“ Op.59 in der Solo-Version von Frédéric Meinders, Roland Pöntinens „Improvisationen über Fellinis ‚Amarcord’“ -Musik von Nino Rota, Regers „Bach – Variationen“ Op.81, die zweimalige Gesamtaufführung von Albéniz‘ „Iberia“, Joseph Marx‘ „Praeludium und Fuge“ sowie seine „Schmetterlingsgeschichten“, Ravels „La Parade – Suite de Ballet“ (1896), die erste komplette Aufführung von Hamelins „12 Etudes in All the Minor Keys“ (1986-2009) durch den Komponisten selber sowie die Uraufführung seiner „Variations on a theme of Paganini“ in Jahr 2011, Felix Blumenfelds „24 Préludes“ Op.17 und skandinavische Klaviermusik, gespielt von Håvard Gimse. – In Abwandlung des Schumann-Zitats möchte man sagen: „Es ist der Entdeckerfreude kein Ende.“

Jenseits des Mainstreams